Aufsätze zur Philosophie
Thesenübersicht zu Kutschera: Die falsche Objektivität, Berlin / New York 1993 und Chalmers: The Conscious Mind, New York / Oxford 1996
Paul Natterer
Reihe: Aufsätze zur Philosophie
2006
4 Seiten
Sprache: Deutsch
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4
Datenübermittlung:
Philosophie des Geistes: Kutschera und Chalmers
Artikelbeschreibung
Franz von Kutschera ist der wohl vielseitigste Vertreter der Analytischen Philosophie in Deutschland. Seine Standardwerke zur Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie, Intensionalen Logik u.a. haben internationale Beachtung gefunden. Seit den 90er Jahren des 20. Jh. engagierte sich Kutschera in der gegenwärtigen Diskussion zur Philosophie des Geistes. Seine Positionen sind diese: Menschliche Personen als kognitive Subjekte sind weder materialistisch noch in der platonisch-cartesianischen Tradition dualistisch (als geistige Substanz oder res cogitans) zu fassen, sondern eher als psycho-physische Systeme zu verstehen (vgl. Kutschera a.a.O. 1993, 201–221). Seelische Vorgänge sind nomologisch und z.T. analytisch (Wahrnehmung und Sprachmotorik) mit körperlichen verbunden. Das bedeutet: Personen umfassen auch essentielle körperliche Merkmale und sind Träger der psychischen und physikalischen Eigenschaften. Personen sind ein psycho-physisches Kontinuum vom Physikalischen über den quantitativ beherrschenden Bereich des Psychophysischen zum Psychischen. Kutschera hat sein Engagement in diesem Feld fortgeführt mit Die Wege des Idealismus, Paderborn 2006, und Philosophie des Geistes, Paderborn 2009.
David Chalmers (Foto links, GNU FDL) ist Direktor des Centre for Consciousness der Australian National University. Er entwickelte eine der differenziertesten und einflussreichsten Theorien zur Sache. Sie hat inzwischen Leitfunktion für nichtreduktionistische Ansätze des Mentalen. Ihre Kernaussagen sind:
Mentale Terme haben eine dreistufige Binnenstruktur:
(P) physikalisch-funktionalistisch (kausal neurowissenschaftlich),
(F) psychologisch-funktionalistisch (kausal-funktional),
(B) phänomenal (intentional und reflexiv bewusst).
Der Aspekt (B) zeigt ferner diese Binnendifferenzierung in:
(b1) phänomenales Bewusstsein (consciousness) betreffs intentionaler qualia
(b2) psychologisches Bewusstsein (awareness) als Introspektion und Reflexion betreffs mentaler Akte und Zustände (Wachheit – Introspektion – existentielles und repräsentationales Selbstbewusstsein – Aufmerksamkeit – willentliche Kontrolle – Wissen).
Die bewusste phänomenale Ebene (B) ist die kognitiv entscheidende Ebene. Sie
- enthält die kognitiven Inhalte (phänomenale Qualia, intensionale Bedeutungen, mentale Topologien, Symbole, Grammatik und Operatoren);
- führt die hochstufige Informationsrepräsentation und -verarbeitung durch;
- leistet die intentionale Struktur der Kognition (propositionale Einstellungen);
- ist Basis der Zeit- und Raumerfahrung und -ordnung;
- garantiert die kognitive Indexikalität (zentriertes kontextuelles Bewusstsein des Erlebnisraums) als Bedingung objektiver Lokalisierung und Datierung;
- erzeugt distinkte Erfahrungsobjekte und -ereignisse;
- ist das diachrone und synchrone Einheitsprinzip der Erfahrung.
Die gegenwärtige Diskussion kreist um die These (Kripke, Nagel, Searle, Chalmers, Metzinger, Kutschera, Gärdenfors), dass die Erklärungen mentaler Phänomene (P) und (F) als unvollständig zu betrachten sind, da korrektes neuronales und kausal-funktionales Funktionieren eines Organismus nicht erklärt, warum er kein Roboter und Zombie ist, sondern Bewusstsein haben soll. Dass daher kein logisch notwendiger Zusammenhang zwischen (P) und (F) einerseits und (B) andererseits vorliegt. Eine reduktionistische Erklärung in den Begriffen der Ebenen (P) und (F) ist keine Reduktion der phänomenalen Ebene (B).
Damit verbindet sich die vieldiskutierte These der doppelten Semantik (Chalmers): Die primäre und entscheidende Beschreibungs- und Erklärungsebene mentaler Sachverhalte und primäre Intension (Bedeutung) von mentalen Sachverhalten ist apriorisch begriffsanalytisch und damit Gegenstand der begrifflichen Erklärung, und ihr Referent ist die phänomenale Entität in der aktualen Welt. Auf dieser Ebene liegen die primären Wahrheitsbedingungen mentaler Terme und die primären Aussagen. Die sekundäre Intension (Bedeutung) eines mentalen Sachverhalts ist die empirisch-naturwissenschaftliche Struktur und sie ist damit Gegenstand der naturwissenschaftlichen Erklärung in der aktualen und kontrafaktischen, möglichen Welten.
Eine ausführlichere Thesenübersicht zu Chalmers Grundlagenwerk The Conscious Mind. In Search of a Fundamental Theory, New York / Oxford 1996 enthält das vorliegende Skript. Da Chalmers in vielem das angelsächsische Gegenstück zu Franz von Kutschera ist, werden beide Autoren hier zusammen vorgestellt.