Aufsätze zur Philosophie
Aristotelische Handlungstheorie und Ethik
Paul Natterer
Reihe: Aufsätze zur Philosophie
2008/11 [1994]
25 Seiten
Sprache: Deutsch
Ausgabe: PDF-Datei
Format: 22 x 15,5 cm
Datenübermittlung:
Aristotelische Handlungstheorie und Ethik
Artikelbeschreibung
Die ausgearbeitetste Handlungstheorie und Ethik des Aristoteles findet sich in der Nikomachischen Ethik. Diese Ethik des Aristoteles wurde geschichtlich wie systematisch äußerst einflussreich. Dasselbe gilt von der zu Grunde liegenden Handlungstheorie des Aristoteles. Die aristotelische Handlungstheorie und Ethik wird aus diesen Grundsätzen entwickelt: Alles Handeln hat ein Endziel. Dieses ist das höchste praktische Gut. Das höchste praktische Gut ist das Glück. Das Glück ist die Aktivation der wesenhaften (rationalen, interpersonalen) Tüchtigkeit (areté) als ethische Tüchtigkeit (aretè ethiké, thematisch in Nikomachische Ethik [NE], II-V) und dianoetische Tüchtigkeit (aretè dianoetiké, in NE, VI).
Eine klassische Interpretation ist Aubenque: La Prudence chez Aristote, Paris 1963 [4. Aufl. 2004; dt.: Der Begriff der Klugheit bei Aristoteles, Hamburg 2. Aufl. 2013]. Ihre Bilanz ist: Ethik hat es mit kontingentem Individuellem zu tun, nicht mit nomothetischer wissenschaftlicher Deduktion. Deswegen rekurriert sie notwendig auf Wahrnehmung und Vorstellung (dóxa) (1963, 8f). Sittliche Überlegung und sittliches Urteil hinsichtlich Ziel und Mitteln bedeuten, menschliche Angelegenheiten zu "vérifier par l'expérience" (Aubenque 1963, 108-115). Gegen Platons Auffassung, dass das moralische Universum insgesamt rational, nomothetisch sei und somit zumindest in idealer Annäherung deduktiv ableitbar, hält Aristoteles dafür, dass die Moral nicht wissenschaftlich, gesetzhaft ableitbar ist, dass namentlich die prohaíresis der richtigen Mittel ein Prozess des induktiven Suchens, Verifizierens und Wählens ist (Aubenque 1963, 130).
Aubenques Fazit (1963, 175): Das Vorliegen kontingenter Faktizität in Welt und Denken erlaubt einerseits keine Absolutheit des Wissens und keine Generalisierung der ethischen Praxis. Andererseits verbietet die praktische Vernunft als vernünftige Prinzipien- und Gestaltungskompetenz des Menschen grundsatzlose Improvisation bzw. einen irrationalen Pragmatismus als unmoralisch. Die praktische Vernunft beinhaltet ein Zusammenspiel von nous praktikós (praktische Vernunft i.e.S.: axiomatisches Prinzipienwissen) – dianoia praktiké (diskursiver praktischer Verstand) – phrónesis i.e.S. (Klugheit in Zielkonkretisierung und Mittelbestimmung) – ethos / oréxis bouleutiké (gute Gesinnung / vernünftiges Streben) – prohaíresis / oréxis dianoetiké (vernünftige Wahl / vernünftiges Wollen).
Aubenque weist auf ein Weiteres hin: Aristoteles' Handlungstheorie ist eine Synthese von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Die phrónesis umfasst die gute Intention, das vernünftige Ziel und die umsichtige, erfolgreiche Meisterung der Umstände (kairoí). Moral umfasst Wollen und gelingendes Handeln. Eine moralische Tat ist idealerweise eine gelungene Tat (eupraxía, Aubenque1963, 97ff).
Die Abhandlung bietet einen systematischen Abriss sowohl der Handlungstheorie wie der Ethik des Aristoteles.