Aristoteles Poetik Handl TheorieDie Aristotelische Poetik: Struktur, Grundbegriffe und handlungstheoretischer Horizont der aristotelischen Dichtungstheorie

Paul Natterer
Aufsätze zur Klassischen Philologie

2008 [1997]
28 Seiten
Sprache: Deutsch
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4

 

Datenübermittlung:

Die Aristotelische Poetik

 

Artikelbeschreibung

Sophokles [gemeinfrei]Eine Weiterführung und Illustration der aristotelischen Handlungstheorie und Ethik ist seine Poetik. Wieso? Im Zentrum der aristotelischen Poetik steht die Analyse der Tragödienstruktur. In der Tragödie sieht Aristoteles das dichterische Maximum. Hauptbestandteil der Tragödie ist die menschliche Handlung (práxis) als ethische: "Er [= Aristoteles] will ... nur solche Handlungen dargestellt wis­sen, die in ethischer Hinsicht von Belang sind." (Fuhrmann: Einführung in die antike Dichtungstheorie, Darmstadt 1973, 7) Konkret: "Aristoteles erklärt, Ethos und Dianoia seien die beiden Ursachen des Handelns; von ihnen hänge alles Gelingen und Scheitern ab. Die beiden Kategorien - sie entsprechen den ethischen und dianoetischen Tugenden der Nikomachischen Ethik" bedingen, "in welchem Maße eine Tragödie die für sie spezifischen Wirkungen zu erzielen vermag." (Fuhrmann 1973, 18) [Bild oben, GNU FDL: Sophokles (496-406 v.C.), der mittlere der bahnbrechenden großen Tragiker Athens - nach Aischylos und vor Euripides]

Antrieb und Motivation konkreten Denkens und praktischen Handelns stammen - im Zusammenspiel mit der praktischen Vernunft - zuletzt aus Instinkten und Gefühlen. Und auch hier gilt: "Die eigentlich menschliche Bildung der Gefühle, und zwar sowohl was die Entwicklung der Jugend, die Heilung krankhafter Fehlformen als auch die Entwicklung großer, kultivierter Gefühle betrifft, ist für Platon wie Aristoteles eine Sache des 'Musischen', d.h. eines verstehenden Sich-Einübens und begreifenden Nachempfindens von künstlerischer Gestaltung. [Daher] die bedeutende ethische und politische Rolle, die sie der Kunst zuerkennen" (Schmitt: Die Moderne und Platon, Stuttgart 2008, 361).

Diese Kultur der Gefühle "kann ... als ein Übergang von abstrakten zu konkreten Gefühlen beschrieben werden. Das abstrakte Gefühl ist nach Aristoteles das Gefühl, das zu einer oberflächlichen, meist an die Wahrnehmung gebundenen, eher pauschalen Unterscheidungsform gehört. Wer im Gesamtkomplex einer Situation einen Zug von Bedrohlichkeit entdeckt und deshalb auf die ganze Situation mit Angst reagiert, ... hat abstrakte Gefühle. Diese Abstraktheit ist es, die durch die Erziehung durch die Kunst, Furcht und Mitleid dort zu empfinden, wo es angemessen ist, wie es angemessen ist, in welchem Ausmaß es angemessen ist (usw.) 'gereinigt' und zu einer konkreten Empfindungsfähigkeit verwandelt wird. Diese Konkretheit besteht nicht zuletzt darin, daß solche Gefühle dem 'Werk' des Menschen, dem sie gelten, gerecht werden." (ebd. 379)

"In diesem Sinn lehrt die Tragödie, das Allgemeine im Einzelnen zu erkennen und in seinem emotionalen und voluntativen Wert richtig, d.h. sachentsprechend, zu erfahren. Aristoteles hat für diese Fähigkeit die Metapher vom 'Auge der Seele' (Aristoteles, Nikomachische Ethik VI, 11, 1143b14) geprägt." (ebd. 374)

Es liegt auf der Hand, dass genau diese Fähigkeit "staatstheoretisch[e] und auch ... anthropologisch[e] ... von großer Bedeutung [ist], eine Situation, einen Mitmenschen, eine gesellschaftliche Gruppe usw. in allen Aspekten, die sich auf das praktische Handeln in der Gemeinschaft beziehen, in ihrem spezifischen Charakter und Wert zu beurteilen." (ebd. 379)

Dies gilt in einem ganz grundsätzlichen Sinn. Denn nach der platonisch-aristotelischen Ethik "ist der Mensch zwar zur Freiheit geboren [und ...] angelegt, aber er ist nicht von sich aus und immer schon frei und souverän [...] Freiheit [ist] eine Aufgabe ..., der der Staat sich stellen und die er durch Formen der Erziehung erst verwirklichen muß [...] weshalb die Ordnung des Staats und im Staat ... zuerst von der Erziehung und nicht von mit Zwangsrechten ausgestatteten Institutionen abhängt." (Schmitt a.a.O. 2008, 382-383)

In der men­schlichen Praxis interessiert dabei noch einmal zentral das Phänomen der hamartía; von dieser aber gilt: "Die Fehlhandlung (hamartía), die nach Aristoteles den Kern der Tragödie bildet, läßt sich nur unter Berücksichtigung seiner Handlungstheorie in ihren Entstehungsursachen bestimmen." (Cessi: Erkennen und Handeln in der Theorie des Tragischen bei Aristoteles, Frankfurt/M. 1987, 274). "Die Tragödie lehrt in negativer Form an Hand der Darstellung eines vorhersehbaren, von mangelhafter Erkenntnis verursachten Sturzes ins Unglück, wie allgemeine Ansichten und Prinzipien richtig auf konkrete Einzelfälle zu applizieren sind, d.h. wie das Vorstellungsvermögen betätigt werden soll." (Cessi 1987, 266)

Der Aufsatz entwickelt eine umfassende Analyse der aristotelischen Poetik im Horizont der Handlungstheorie.