N20. Begriffs-Apriorismus Empirismus Konstruktivismus

Apriorismus, Empirismus und Konstruktivismus auf der Ebene der begrifflichen Interpretation

Paul Natterer
2008 [2002]
7 Seiten
Sprache: Deutsch
Reihe: Aufsätze zur Psychologie und Kognitionswissenschaft
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4

 

Datenübertragung:

Apriorismus, Empirismus und Konstruktivismus auf der Begriffsebene

Artikelbeschreibung

H. Maturana [Angemessene Verwendung (fair use) in Bildung und Wissenschaft]In der Biologischen Psychologie und Kognitionswissenschaft stellt sich die Frage: Was ist angeboren, was erworben, was selbstgemacht? Mit einem technischen Bild: Was stammt vom eingebauten Betriebssystem, was von erworbenen Anwendungsprogrammen und was ist per Editor selbst gemacht? Hierzu eine kurze Erläuterung an Hand der technischen Informationsverarbeitung oder Informatik. Sie haben vor, sich einen neuen Rechner zusammen zu bauen. Sie bestellen also im Fachhandel die nötigen Gerätekomponenten: Gehäuse mit Netzteil, Hauptplatine, Prozessor, Festplatte, Grafikkarte, Audiokarte, DVD-Brenner, Bildschirm, Maus usw. Nach einigen Stunden Arbeit und einigem in dieser Branche unvermeidlichen Ärger haben Sie jetzt den fertigen neuen Rechner vor sich. Mit dem neuen Teil ist aber bisher gar nichts anzufangen. Dazu wird erst noch ein strukturiertes Netzwerk von Daten, Datenstrukturen und Datenklassen gebraucht; darüber hinaus ein Arsenal logischer Operatoren (Schaltalgebra) und mathematischer Algorithmen (Programme) sowie nicht zu vergessen eine Hierarchie von Sprachen oder Codes: Maschinencode – Übersetzungsprogramm (Compiler) – Programmkode (Quelltext) – Benutzerkonsole (Anwendungsprogramme). Sie brauchen m.a.W. für den Rechner noch das, wofür er eigentlich da ist, Information und Intelligenz (Software). [Foto oben, GNU FDL: Humberto R. Maturana, Neurobiologe und Vordenker des erkenntnistheoretischen Konstruktivismus, siehe in Folge]

Diese Information und Intelligenz kann auf dreierlei Weise in den Rechner kommen. Sie kann schon von vorne herein in ihm eingebaut sein, etwa die logischen Operatoren und Algorithmen im sog. Level 1-Cache des Prozessors oder das ganz fundamentale Betriebsprogramm des BIOS, oder eben auch und ganz besonders das von vorne herein aufgespielte Betriebssystem (Linux, Windows XP oder dgl.). Zweitens kann die Information und Intelligenz von mir für den Rechner im Laufe der Zeit erworben werden wie ein neues Textverarbeitungsprogramm, ein Finanzbuchhaltungs-Programm, ein digitales Lexikon auf CD, Musikstücke aus dem Internet usw. Drittens kann ich selbst diese Information und Intelligenz hervorbringen, konstruieren, erstellen – im Editor, d.h. durch Eingeben, Anordnen, Formatieren und Speichern von Daten, Operationen und Programmen: Texteingabe für ein Buchmanuskript, Einscannen von Photos, Erfassen von Einnahmen und Ausgaben im Kassenbuch, Erstellen eines eigenen Internetauftritts im HTML-Editor usw.

Auf denselben drei Wegen, auf denen der Rechner Information und objektive Intelligenz erhalten kann, erhalten sie auch menschliche Organismen. Der erste Weg sind eingebaute, angeborene Betriebsprogramme wie die angeborene Sprachfähigkeit, angeborene Denkstrukturen, angeborene Wahrnehmungsleistungen und Instinkte. Die Theorie oder Philosophie, die diesen Weg besonders betont, ist der Apriorismus (lat.: a priori = von vorne herein). Der Apriorismus, der sich auf angeborene Denkregeln und kognitive Ideen oder geistige Begriffe bezieht, heißt Rationalismus. Apriorismus kann sich ansonsten aber auch auf angeborene Sinnesleistungen und biologische Triebe beziehen. Der zweite Weg ist die Erfahrung, also der nachträgliche Erwerb von Wissen durch Sinneserfahrung. Die Theorie und Philosophie, die diesen Weg besonders betont, ist der Empirismus. Der dritte Weg ist eigene kreative Hervorbringung oder begriffliche, mathematische, ästhetische, rechtliche Konstruktion. Die Theorie oder Philosophie, die diesen Weg besonders betont, ist der Konstruktivismus.

Das Zusammenspiel von Apriorismus (Rationalismus), Empirismus und Konstruktivismus zeigt das vorliegende Skript in systematischer Darstellung für die Stufe des begrifflichen Denkens und des Sprechens.