Ethischer GottesbeweisSkizze des ethikotheologischen Arguments

Paul Natterer
Aufsätze zur Religionsphilosophie

2018 [2008]
5 Seiten
Sprache: Deutsch
Ausgabe: PDF-Datei
Format: DIN A4

 

Datenübermittlung:

Skizze des ethikotheologischen Arguments

Artikelbeschreibung

Die drei bekanntesten Ansätze eines personalen Gottesbeweises neben dem ethikotheologischen (Augustinus, Kant, Newman), der so genannte ideologische (Augustinus, De libero arbitrio II) aus den menschlich unverfügbaren apriorischen logischen, ästhetischen und ethischen Axiomen und Normen, die einen transzendenten Gesetzgeber erschließen; außerdem der eudaimonologische Beweis aus dem nur durch das Absolute zu befriedigenden Glücksverlangen des Menschen (Augustinus, Confessiones). Eine gute und bis heute aktuelle Übersicht bietet Schmucker: Die primären Quellen des Gottesglaubens [= Quaestiones disputatae 34], Freiburg/Basel/Wien 1967. Das vorliegende Thesenpapier legt diese als Referenztext zu Grunde.

Hinsichtlich des ethikotheologischen Beweisganges erörtert Schmucker zunächst dessen (neu)scholastische Kritik und Zurückweisung unter Berufung auf die Notwendigkeit einer unmittelbaren theologischen Begründung der Ethik. Sie ist nach dem Hauptstrom der scholastischen Überlieferung geboten, weil eine immanente Begründung der Sittlichkeit im Vernunftgesetz nicht möglich ist. Dies deswegen, weil die scholastische Begriffsbestimmung des Menschen als naturae rationalis individua substantia (individuelle Substanz der vernünftigen Natur) dem Menschen nur eine moralisch neutrale Vernunft und einen neutralen freien Willen zuschreibt, also nur eine ontologische, transzendentale Gutheit, nicht eine moralische Gutheit oder innere moralische Natur.

Dass diese griechisch-römische und scholastische Begriffsbestimmung den Menschen nur als moralisch neutrales Wesen fasst, wird sicherlich von Vertretern der Tradition nicht allgemein zugegeben werden. Man hat unter „vernünftiger Natur“ seit Aristoteles stets den nous theoretikós (intellectus theoreticus / theoretische Vernunft) und den nous praktikós (intellectus practicus / praktische Vernunft) verstanden. Thomas Aquinas sagt in diesem Sinne: Die praktische Vernunft (praxisbezogene Kognition) ist das Naturgesetz (lex naturalis). Das Naturgesetz ist nichts anderes als die praktische Vernunft, d.h. die menschliche Rationalität in der Dimension des Handelns: „Das Gesetz ist eine Funktion der Vernunft." (Theologische Summe 1 II, qu. 90, art. 1., sed contra.) Und: „Regel und Norm der menschlichen Akte ist die Vernunft“ (Theologische Summe 1 II, qu. 90, art. 1., corp.) In der hier besonders einschlägigen Quaestio disputata de virtutibus in communi (Art. 6) Aquins heißt es gleichfalls: „In intellectu practico est virtus sicut in subiecto / Die Tugend hat ihren Sitz in der praktischen Vernunft.“

Dieses ethische Grundlegungsprogramm geht ohne Wenn und Aber von dem später von Kant neu betonten Grundsatz aus: Die sittliche Eigenverantwortung macht die Größe und Aufgabe des Menschen aus. Theologisch gewendet: Der Mensch ist „Bild Gottes“ als frei aus eigener Macht handelnde moralische Vernunft. Thomas von Aquin stellt diese Prämisse im Vorwort zum moraltheologischen Teil der theologischen Summe (Prima Secundae) als Leitmotiv voran: „Der Mensch wird genannt als nach dem Bild Gottes gemacht, insofern unter Bild verstanden wird die vernünftige Intelligenz mit Entscheidungsfreiheit und Selbstmächtigkeit.“

Zutreffender wäre es daher zu sagen, dass speziell im römisch-katholischen Westen der messianischen (= christlichen) Zivilisation faktisch oder atmosphärisch die moralische Selbstgesetzgebung, auf die es Schmucker ankommt, in der Moderne der letzten 200 Jahre tendenziell in den Hintergrund trat. In streng protestantisch geprägten Milieus dagegen war und ist die Bestreitung der moralischen Freiheit und Vernunftbestimmtheit eine zentrale dogmatische Hintergrundannahme. Deswegen konnte Kants Profilierung derselben ein solches enormes Echo auslösen und sogar als revolutionär empfunden werden. Fichte ist dafür das beste und bekannteste Beispiel.

Das Skript diskutiert die hier hier herein spielenden Gesichtspunkte in systematischer wie historischer Hinsicht.